Montag, 7. Dezember 2015

Neuer Haarschnitt, neue Erfahrungen


Eine Frage, die nach gut zwei Monaten auf alle Kurzhaarschnittträger zukommt, ist, wo geht man am besten zum Friseur? Nachdem die ersten schon ihre mehr oder weniger als erfolgreich zu wertenden Versuche unternommen haben, versuche ich diese Woche nun ebenfalls mein Glück. Nach gründlicher Auswertung aller Erfahrungsberichte entscheide ich mich für den Uni-Friseur, zu dem mir unter anderem auch die Jungs aus dem Labor geraten haben. Die erste Hürde ist jedoch, eben diesen auf dem Campus zu finden. Zwar habe ich die Nummer des entsprechenden Gebäudes, jedoch enden in dessen Foyer meine Hinweise. Also kurz Google-Translate bemüht, um die Kanji (Schriftzeichen) für barber shop nachzugucken. Am Ende des dunklen Seitenkorridors werde ich fündig und betrete den Laden. Genauer gesagt, müsste man es richtigerweise einen kleinen Raum nennen, der irgendwann in den 60gern oder 70gern beschlossen haben muss, sein Aussehen nicht weiter zu verändern. Also eigentlich ein Grund, gleich auf der Türschwelle kehrt zu machen, wenn ich nicht schon vorgewarnt worden wäre. An sich gilt aber auch bei meiner Friseursuche in Deutschland immer der Grundsatz, je älter das Geschäft aussieht, umso mehr Erfahrung haben dessen Betreiber. Gleich zu Beginn fragt der alleinige Ladenbesitzer, ein älterer Herr, der offensichtlich zusammen mit seinem Geschäft gealtert zu sein scheint, mich auf Japanisch, ob ich ein Foto dabei habe. Gut, dass ich vor zwei Monaten mitgedacht habe und vorbereitet bin. Fest in drei Handtücher eingepackt, betrachte ich, wie der Friseur nicht gerade zaghaft loslegt, erstmals ein gutes Stück aus der Länge rauszunehmen, bevor es an die Dichte und den Feinschnitt geht. Nachdem der Grobschnitt fertig ist, gibt es dann eine Haarwäsche mit so viel Schaum, wie ich es noch nicht erlebt habe. Zum Waschen selber wird sich nach vorne über das Waschbecken gebeugt, welches bis gerade eben noch eingeklappt in der Wand vor mir versteckt gewesen ist. Kurz durchgeföhnt, kann sich das Ergebnis sehen lassen, so ziemlich wie ich es zuvor auf dem Foto gezeigt hatte. Abschließend gibt es sogar noch eine kurze Nackenmassage. Top Service für nur umgerechnet gut 11 Euro.


Am darauffolgenden Freitag ist es dann endlich soweit, ich erlebe mein erstes Erdbeben, zugegebenermaßen mit Vorwarnung. Mit einer Vorlesung besuchen wir das Disaster Research und Mittigation Center der Universität. Eingangs lernen wir in einer kurzen Vorlesung, dass in Japan Erdbeben nicht wie wir in Europa nach der freigesetzten Energie entlang der Richter-Skala bewertet werden, sondern nach dem Einfluss des Bebens auf Menschen, Gebäude und die Umwelt. So kann ein Beben im Erdgeschoss mit durchschnittlichen 4 von 7 Punkten bewertet werden, während das 80gste Stockwerk eines Hochhauses mit einer 6 kräftig durcheinander geworfen wird. Nach der Vorlesung geht es dann auf das Dach des Gebäudes, dort befindet sich das Forschungslabor, in dem eben auch beliebige Formen von Erdbeben simuliert werden können. Der Simulationsraum ist dabei keineswegs klein mit seinen Abmessungen von gut 10 mal 10 Metern, sogar zwei Fenster gibt es. Auch mit dem Wissen, dass es sich nur um eine Simulation handelt, ist es ein durchweg ungewöhnliches Gefühl, mit dem sich das Gehirn versucht, auseinanderzusetzen. Erster Eindruck, wo habe ich auf einmal die zwei Promille Alkohol im Blut her. Im Stehen ist es nur ein kleines Schwanken, doch versuche ich nur einige Schritte geradeaus zu gehen, gerate ich schnell in Schieflage. Auch der Blick aus dem Fenster auf die schwankenden Gebäude der Universität verstärken den Eindruck umso mehr. Auf die Nachfrage, wie die Simulation denn auf der japanischen Skala einzuordnen ist, meint der Professor, dass es wahrscheinlich zwischen einer drei und einer vier liegen würde. Nicht vorzustellen, wie sich dann die Beben in Kobe 1995 oder 2011 in der Tohoku Region (incl. Fukushima Präfektur) mit einer Stärke von sieben angefühlt haben müssen, bei der die Menschen buchstäblich in die Luft geworfen wurden. Das sind selbst für einen Naturwissenschaftler unfassbare Energiemengen die freigesetzt werden. Wikipedia verrät mir später, dass 2011 zwei Exa Joule (2 x 1018 J!!!) Energie beim Tohoku-Beben freigesetzt wurden, das entspricht äquivalent 475 Millionen Tonnen TNT. Im Foyer des Forschungszentrums sehen wir anschließend noch, wie dicht die Grenzen der tektonischen Platten auch vor der Bucht von Nagoya verlaufen. Keine zehn Kilometer vor der Küste schieben sich die eurasische, die nordamerikanische und die philippinische Platte aneinander vorbei. Die Forscher können uns aber versichern, dass alle Gebäude auf dem Campus inklusive der Wohnheime entsprechend konstruiert oder nachgerüstet wurden, um auch solch starke Beben zu überstehen und gegen Tsunamis sind wir auf unserer Anhöhe auf dem Higashiyama ohnehin gewappnet. Trotzdem wäre ich dankbar, es bei der Simulation belassen zu können.

Das Wochenende verläuft diese Woche dann vergleichsweise besinnlich. Nachdem ich einige Berechnungen zur Sanitärversorgung in Indien und Kenia für meine Vorlesung über water und waste engineering angestellt habe, mache ich mich mit Daniel auf nach Sakae, diesmal allerdings zu Fuß. Der Grund ist, dass wir auf unserem Weg Stopp bei der St. Marry Kirche, der größten in der Präfektur Aichi, machen wollen. Angekommen, begegnet uns ein ungewohnt vertrauter Anblick. Mit dem angrenzenden Altenheim und Gemeindehaus, zeigt sich ein Einschnitt westlicher Architektur in der asiatischen Großstadt. Auch im Inneren wirkt die Einrichtung allzu vertraut, Kirchenfenster, Altar und Kirchenbänke sind sehr schlicht gehalten, kein Anzeichen von asiatischem Kitsch. Viermal im Monat gibt es sogar einen englischen Gottesdienst, ebenso wie einen im philippinischen Tagalog. Auch der Weihnachtsbaum ist schon im Gemeindezentrum aufgestellt.

Am Sonntagabend geht es dann nochmal etwas actionreicher zu. Zusammen mit Fredrik und Michael aus Schweden und Daniel gehe ich zum ersten Mal in Nagoya ins Kino. Auf dem Programm steht der neue James Bond, der in Japan zwei Wochen später als in Europa angelaufen ist. Vorher kaufe ich noch schnell mein Zugticket für die Feiertage, um den letzen Punkt für meine Reiseplanung abhaken zu können. Im Kino ist dann erfreulicher Weise wenig los und wir bekommen noch problemlos Karten, die japanisch bequem am Automaten gelöst werden können. Fredrik nutzt die Gelegenheit und holt auch gleich unsere Tickets für die Star Wars Premiere in zwei Wochen ab. Zu Beginn der Vorführung wird unsere Hoffnung erfüllt, dass auch in Japan zunächst nationale wie auch lokale Werbung gezeigt wird. Auch hier sind bei den lokalen Werbeclips einige zum Schmunzeln dabei. Der Film kann letztlich nur begrenzt überzeugen, an sich ist er nicht schlecht, doch scheint die Serie mittlerweile eine Parodie ihrer selbst geworden zu sein. Zu unwirklich werden die Effekte und Stunts inszeniert, als dass sie zum ansonsten sich ernstnehmenden Erzählstrang passen würden. So sind wir nun zumindest bereits für die große Premiere in zwei Wochen vorbereitet. Auf dem Nachhauseweg drängt sich uns noch eine abschließende Frage auf, gab es im Originaldrehbuch dieses Mal tatsächlich keine Sex-Szene, oder hat da die sanfte japanische Zensur (nach Fukushima haben Reporter ohne Grenzen erhebliche Einschnitte in die Pressefreiheit registriert) eingegriffen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen