Montag, 16. November 2015

Klassisch währt länger


Fast so gut wie ein langes Wochenende ist eine Woche, die nur aus zweimal zwei Tagen Uni besteht, wenn sich am Mittwoch einfach mal freigenommen wird. Um dies innerlich moralisch rechtfertigen zu können, kann dazu unter anderem ein äußerst günstiges Angebot des International Office für einen Tagesausflug herangezogen werden. Für nicht einmal 25 € geht es an diesem Mittwoch nach Shirakawa-go und Takyama, 150 km nördlich von Nagoya in den Bergen. Der Zeitplan ist straff getaktet, selbst die Pausen an den Raststätten sind auf die Minute genau vorgegeben, was eigentlich nicht sehr verwunderlich ist, angesichts des klischeehaften Bildes des Asiaten, der ganz Europa in sieben Tagen bereist. So haben wir auch zum Mittagessen nur 20 Minuten Zeit, als wir in Shirakawa-go (dt. Dorf am weißen Fluss) ankommen, in Anbetracht der wie erwartet geringen Portionsgröße, jedoch verkraftbar. Danach haben wir dann zum Glück etwas länger Zeit (ca. 75 Minuten), um das Dorf zu erkunden, welches mit seinen historischen reetgedeckten Minka-Häusern (Bauernhäusern)  seit 1995 zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Nett anzusehen, jedoch scheint der Herbst mit seinen abgeernteten Reisfeldern und trüben Wetter nicht der beste Zeitpunkt für einen Besuch zu sein. Die Fotos von in Schnee gebetteten Häusern im Winter oder saftig grünen Reisfeldern im Frühling erwecken zumindest jenen Eindruck. Auf die Minute genau geht es anschließend weiter nach Takyama, der nächstgelegenen Stadt, die auch den Beinamen klein Kyoto trägt. Auch hier lassen sich schöne und weniger schöne Flecken finden. Meine sich in Grenzen haltenden Begeisterung kommentiert Daniel damit, dass wenn mir Takayama mit seinen historischen Straßen schon nicht gefallen würde, es Japan im allgemeinen dann auch nicht wird, worauf ich nüchtern erwidere, dass auch moderne Großstadtarchitektur ihren Reiz haben kann ;)

Zurück an der Uni, habe ich am nächsten Tag in der Vorlesung über internationale Migrationstheorie die Aufmerksamkeit der Kursteilnehmer ganz auf mich gerichtet, ich halte einen Vortrag über die Migrationspolitik Japans mit dem Fokus auf den Zuzug von Fachkräften. (Beim Leser soll schließlich nicht der Eindruck geweckt werden, dass die akademische Weiterbildung des Autors pausieren würde.) Das Thema ist für mich eine kleine Gratwanderung, da die vorgegebene Kernfrage meines Vortrages ist, warum Japan sich mit dem Anwerben von Fachkräften im internationalen Vergleich so schwer tut. Schließlich will ich als Gast nicht über die japanische Innenpolitik richten, obgleich Deutschland sich wesentlich besser schlägt (Zum Beispiel bleibt nur rund ein Viertel der internationalen Studenten nach ihrem Abschluss in Japan. In Deutschland ist es fast die Hälfte.) Am Ende ist der Professor jedoch sehr zufrieden und kann auch über viele japanische Problemstellen wie der Work-Life-Balance und der immer wiederkehrenden Sprachbarriere (Englisch ist selten als Geschäftssprache wiederzufinden) hinweg lachen. Es gibt sogar Lob für die freie und gut strukturierte Vortragsweise. Mit dieser haben wir tatsächlich vielen Asiaten (aber auch manch anderen Deutschen) etwas meilenweit voraus.

Nach dem kurzen Mittwochswochenende wird das „Hauptwochenende“ am Freitag mit einem Abend in Nagoyas Innenstadt begonnen. Zu viert wollen wir heute das Rätsel um das ominöse Pachinko, einer Art von japanischem Glücksspiel, was eigentlich verboten ist, lüften. Zwar wurde uns seitens der Universität abgeraten, für einen Nebenjob bei einer der vielen im Stadtgebiet verteilten Pachinko-Hallen anzufragen, jedoch wird auf der anderen Seite wiederum an manchen U-Bahn-Stationen explizit in den Durchsagen darauf hingewiesen, dass sich diesem recht traditionsreichen Spiel an jener Stadion frönen lässt. Ausgestattet mit dem festen Maximaleinsatz von 1000 Yen betreten wir eine der Hallen und werden als erstes von der Geräuschkulisse erschlagen. Das Rattern der Pachinko-Maschinen lässt mich an den Start einer Propellermaschine erinnern, jedoch nicht an das Gepiepse heimischer Spielhallen. Ebenfalls erschwert das permanente Rauschen die Kontaktaufnahme zum Personal, welches uns aber schließlich die Benutzung der Automaten nach einigen Versuchen erklären kann. Das Geld wird direkt in den Automaten gesteckt, nicht erst am Schalter gegen einen Sack voller kleiner silberner Kugel eingetauscht, wie wir zunächst vermutet hatten. Ziel des Spieles ist es, jene kleinen Kugeln mit der richtigen Geschwindigkeit durch Einstellen eines Reglers auf das Spielfeld zu schießen, sodass diese so an den Metallstäben vorbeikullern, dass sie am Ende in einem Loch in der Mitte des Spielfeldes verschwinden. Dann werden wie beim einarmigen Banditen drei Walzen in Bewegung gesetzt und es darf auf drei gleiche Symbole gehofft werden. Als Gewinn gibt es zusätzliche Kugeln, deren Anzahl am Ende auf einer Chipkarte gespeichert ausgegeben wird. Da wie bereits erwähnt Glücksspiel in Japan verboten ist, gibt es nur Sachpreise, die ausgezahlt werden. Jedoch lässt sich lesen, dass jene abschließend in Geschäften, eine Straßenecke weiter, wieder zu Geld gemacht werden können. Ich hatte am Mittag noch bei mir im Labor nachgefragt, wie lang denn wohl der Spielspaß mit 1000 Yen dauern würde, so ca. 15 Minuten kam als Antwort zurück. Letztlich sind es vieleicht gerade einmal 10 Minuten geworden, bevor die letzte Kugel verschossen war. Eine kurze aber auch recht interessante Erfahrung, bedenkt man, dass viele Männer nach der Arbeit, noch im Anzug gekleidet, in den sauber und hell ausgeleuchteten Hallen zu finden sind. Anschließend gehen wir wieder einmal ins Critical Hit (der Arcade-Spielebar aus dem „Arcade Friday“ ) und bekommen bei einer Runde N64 und zwei Drinks für ebenfalls 1000 Yen gute zwei Stunden Spaß geboten, klassisch währt halt länger.

Der Samstag sowie auch der Sonntagmorgen wird mit der Vorbereitung für die Zwischenprüfung im Japanischkurs verbracht. Am frühen Sonntagmittag habe ich jedoch genug und fahre zusammen mit Daniel und einem Freund von ihm, der zu Besuch ist, nach Gifu City, der Hauptstadt der an Nagoya angrenzenden Präfektur Gifu. Die selbst interessiert uns dabei nur eher sekundär, obgleich auch Gifu nett zu erkunden ist als durchschnittlich gewachsene japanische Stadt mit nur ca. 400.000 Einwohnern. Unser Ziel ist die Burg von Gifu oder vielmehr der Ausblick, der von ihr aus zu bestaunen sein soll, denn die Burg befindet sich auf einem gut 350 Meter hohen Berg am Rand von Nagoya. Als wir uns auf den Weg zur Spitze machen, ist das Wetter noch recht durchwachsen, aber im feuchten Gehölz am Fuße des Berges kommen wir auch bei nur ca. 20 Grad schnell ins Schwitzten. Oben angekommen hat sich das Wetter und insbesondere die Sicht zum Glück gebessert, nach einigen Minuten kommt sogar die Sonne zum Vorschein und leuchtet uns das gesamte Stadtgebiet von Nagoya aus. Die Sicht ist sogar so gut, dass wir bis zur Universität in gut 30 Kilometern Entfernung sehen können. Auch die Burg selber überzeugt mit ihrer Architektur, klein aber fein. Das dachte sich auch bereits Oda Nobunage am Ende des 16. Jahrhundert und hat nach der Eroberung der Burg diese sogleich zu seinem Hauptsitz erklärt. Ich hätte auch nichts gegen ein Ferienhaus mit solch einer brillianten Aussicht.

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